Corona-Pflichttests vor Aktivitäten – Sinnvoll oder unnötige kostenträchtige Belästigung?

Allerorten schießen deswegen Testzentren aus dem Boden. Negativer Corona-Test vor Aktivität: Sinnvoll oder Geldverschwendung? Bei Kosten von 18 Euro pro Test und nur in Berlin 4 Millionen Tests pro Woche sind das Milliarden Kosten für den Staatshaushalt. Leistet das einen Beitrag zur Eindämmung der Seuche?
Erste Frage: Haben wir die zweite Coronawelle überwunden? Ist die Flasche halbleer oder halbvoll? Die Skeptiker meinen, wir sind längst nicht übern Berg. Im ersten Coronasommer letzten Jahres hatten wir keine Schnelltests, aber unter AHA-Regeln und Hygienemassnahmen waren Geschäfte, Gastronomie, Hotels, und Kultureinrichtungen nur wenig beeinträchtigt. Auch hatten Schulen teilweise Normalunterricht. Jetzt im beginnenden Sommers sind zusätzlich bereits über ein Drittel der Bevölkerung geimpft. Und wir nähern uns Inzidenzzahlen von unter 30. Damit dürften die Pessimisten und Katastrophenprediger verloren haben.
Schnelltests bieten nur Pseudosicherheit, schaffen aber Verunsicherung
Mit Einführung der Testerei in Kitas und Schulen schnellten die festgestellten Coronainfektionszahlen nach oben, nicht die Zahl erkrankter Kinder. Es wurden lediglich die stummen Infektionen entdeckt mit dem Nachteil unnötiger Quarantäne und Nachkontrollen. Im Verwandten- und Freundeskreis wird vielfältig solches berichtet. Das Labor 28, eines der großen stadtweiten Laboratorien Berlins, gibt an, das bislang 40% der positiven Schnelltestergebnisse sich nicht in nachfolgender Kontroll-PCT-Untersuchung bestätigen lassen. Das war erwartbar, denn zum einen beruhen die Angaben zur Testgenauigkeit auf Herstellerinformationen und werden für die Zulassung nicht geprüft. Zum anderen steigt die Fehlerrate rapide an, umso geringer die Vortestwahrscheinlichkeit ist. Mit anderen Worten, testet man Gesunde, ist die Fehlerrate hoch, testet man Menschen mit typischen Krankheitssymptomen, stimmt das Testergebnis meist.
Tests bei Gesunden – Im Sommer Sinn oder Unsinn?
Ich denke, es wird kein Virologe behaupten, dass bei Aktivitäten jeglicher Art im Freien und sommerlichem Wetter ein vorheriger Coronatest hilft, die Seuche einzudämmen. Zu Diskutieren ist lediglich, ob unter den jetzigen günstigen Bedingungen (Sommer, relevante Anzahl Geimpfter) eine Testpflicht bei Innenkontakten (Gastronomie, Kultur, Sport) noch zielführend ist. Nimmt man die Erfahrungen des letzten Sommers, reichen die damaligen Schutzmassnahmen in Gastronomie, Hotels und Kultur aus (keine Schnelltests). Der Beginn der zweiten Welle kam mit den Reiserückkehrern. Der Schluss kann doch dann wohl nur lauten, Ende mit der Testerei bei Gesunden. Aber konsequente Kontrollen bei Reiserückkehrern mit Sicherung/Kontrolle ggf. notwendiger Quarantänemassnahmen.
Wenn ich im Vorbeigehen an einem Testcenter angesprochen werde, ob ich nicht einen Schnelltest benötige, dann stimmt etwas nicht
Der Artikel von Hermann Müller im Ärztlichen Nachrichtendienst (ÄND), nächster Absatz, bringt die Skurriltäten um die Testerei auf den Punkt. Ich halte es für überfällig, dass die Geldverschwendung für millionenfache Coronatesterei schleunigst eingestellt wird. Frühere unnötige Geldausgaben kann man mit unzureichender Erfahrung mit der Corona-Seuche entschuldigen. Jetzt aber wissen wir es besser. Das leichtfertige Geldausgeben fällt der Folgeregierung im Herbst auf die Füße. Dieses Geld fehlt dann für Infrastrukturmassnahmen, Bildung/Kultur und auch für die Modernisierung unserer Verwaltung. Eigentlich bräuchten nur die Regelungen angewandt werden, die letztes Jahr versprochen wurden, wenn Inzidenzen unter 30 erreicht werden. Testerei bei Gesunden war da nicht vorgesehen. Thomas
Kostenlose „Bürgertests“ Hat Spahn die Büchse der Pandora geöffnet? Kommentar von Hermann Müller
Seinem eigentlichen Artikel stelle ich seine Anmerkung voran: Der Autor hat Pfingsten samt Begleitung auf den Besuch in seinem Stammcafe verzichtet – trotz freier Plätze. Die Politik schreibt für die Bedienung im Freien negative Corona-Tests vor. Die Kosten für zwei Schnelltests von 36 Euro wollte er den Steuerzahlern (dazu gehört er selbst) nicht zumuten. Für einen kurzen Aufenthalt bei Kaffee und Kuchen im Sonnenschein und bei einem Verzehr für vielleicht 15 bis 20 Euro für zwei Personen.
Die Corona-Testverordnung von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) könnte für den Steuerzahler teuer werden. Wurden bis zum 8. März dieses Jahres nur bestimmte Gruppen per Schnelltest auf Corona getestet (z. B. Personen mit Kontakt zu einem Infizierten), kann sich mit der Einführung der „Bürgertests“ jeder kostenlos testen lassen – so häufig er will. Überall schießen Schnelltestzentren wie
Pilze aus dem Boden. Kontrolliert wird kaum, die Kosten schießen in die Höhe, allein im April um knapp eine halbe Milliarde Euro. Lockerungen, warmes Wetter und Urlaubszeit könnten die Kosten weiter treiben. Der Nutzen – überschaubar.
Eine heruntergekommene Seitenstraße in Berlin-Mitte: Die Adresse wirkt schmuddelig, heruntergelassene Rolläden, nur die Tür zum schlauchförmigen Raum steht offen – das wenige Tage junge Covid Schnelltestzentren will Kundschaft anlocken. Davor ein Treffpunkt, darunter ein paar Schluckspechte, sie kaufen den Stoff im Kiosk, zu dem das Testzentrum gehört. Eine junge Frau, sie verkauft sonst Bier, Zigaretten, Zeitungen, ist nebenan als Testerin tätig mit Schutzmantel, Maske, Gesichtsschutz. Stellt staatlich anerkannte negative Testzertifikate aus. Es gibt bessere Adressen. Pikfein, sauber, professionell aufgemacht: Im nahen Schultheiss-Quartier hat eine Dortmunder Firma mit bundesweit etwa 30 Zentren frei gewordenen Gewerberaum gemietet, davor bilden sich häufig Schlangen. Keine 100 Meter entfernt ist ein Restaurant nicht mehr zu erkennen, die großen Fenster sind zugeklebt mit Werbung für ein Testzentrum. Der Wirt hat den Gastraum vermietet, das bringt möglicherweise mehr als die Öffnung des Restaurants in diesem Zeiten.
Schon seit November letzten Jahres dürfen nicht nur Ärzte Corona-Tests durchführen, sondern auch Berufsfremde. Doch kostenlos getestet wurden bis zum 8. März nur bestimmte Gruppen (Pflegeheimbewohner, Menschen mit Kontakt zu Infizierten), häufig durch ärztlich geleitete Einrichtungen. Privat musste der Antigen-Schnelltest selbst bezahlt werden. Die Einführung der kostenlosen „Bürgertests“ für alle hat eine unglaubliche Dynamik ausgelöst. An jeder Ecke schießen Schnelltestzentren wie Pilze aus dem Boden.
Ende waren es in Berlin noch 200, letzte Woche schon rund 1200. Tendenz weiter steigend. Goldgräberstimmung nicht nur in Berlin. Jeder in Deutschland Lebende kann sich kostenlos testen lassen. Nicht ein Mal pro Woche, wie es zunächst hieß, so häufig er will. Das sieht die Corona-Testverordnung vom 9. März dieses Jahres vor. 12 Euro zahlt Papa Staat pro Test, 6 Euro für Sachkosten, ärztliche geleiteten Testzentren 21 Euro. In Nordrhein-Westfalen legt die Regierung von Kanzlerkandidat Armin Laschet (CDU) für jedes
Schnelltestzentrum 1000 Euro zusätzlich drauf. Pro Monat.
Die Politik hat die Büchse der Pandora geöffnet
Die Zulassung ist einfach: Ein geeigneter Gewerberaum, der Gesundheitbehörde ein paar Daten online melden (Name, Anschrift, Zahl der Mitarbeiter, Hygienekonzept, Raumskizze), dazu eine Online-Schulung, schon können Berufsfremde den Testwilligen in der Nase bohren, das gewonnene Material analysieren, Bescheide ausstellen. Die Gesundheitsverwaltung in Berlin verspricht die „Zertifizierung“ innerhalb von 24 Stunden. Mit „Zertifizierung“ gemeint ist wohl eher ein Durchwinken der Anträge. Die Registrierung bei der KV Berlin, sie vergütet die Leistungen und erhebt ein paar Daten (z. B. die Kontoverbindung), kann online später erfolgen. Überall werden Schnelltestzentren eröffnet. Apotheken, Drogerieketten, Kirchengemeinden, Eventagenturen, Studenten, Zeitungsläden, Reisebüros, Spätshops , Studenten, Bordelle, Firmen aus dem Ausland und sogar ein Tatortreiniger möchten etwas vom Kuchen abbekommen. Manche Testzentren locken Kunden an mit kleinen Geschenken wie FFP2 Masken. Ein großes Berliner Restaurant, das ein Schnelltestzentren aufgebaut hat und demnächst PCR-Tests für Selbstzahler für 99 Euro anbieten will, spendiert jedem Getesteten ein Freibier. Auf Wunsch alkoholfrei.
Ministerium: KVen dürfen Abrechnung nicht kontrollieren
Alles ist einfach, Kontrolle ein Fremdwort. Testwillige übermitteln online ihre Daten oder füllen einen Fragebogen aus, müssen Ausweis oder Pass vorlegen. In Berlin übermitteln die Zentren täglich die Zahl der „Bürgertest“ der Gesundheitsverwaltung, rechnen monatlich mit der KV Berlin ab. Diese holt sich das Geld vom Bundesamt für Soziale Sicherung (BAS), vergütet den Zentren die gemeldete Anzahl der Schnelltests. Namen und Anschriften der Getesteten erhalten weder KV noch Senatsverwaltung.
Kontrolle? Fehlanzeige! Die Berliner Gesundheitsverwaltung will Fragen dazu nicht beantworten, verweist auf die KV Berlin. „Kontrollen können wir nicht durchführen, das sieht die Corona-Testverordnung nicht vor“, heißt es. Ändern wird sich vermutlich nichts. Auf der jüngsten Konferenz der Aufsichtsbehörden wurde das Thema außerhalb der Tagesordnung nur gestreift, heißt es. Allein die KV Hamburg führt nach einem aktuellen Bericht der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitungen“ (FAS) Plausibilitätskontrollen durch, hat 1,5 Millionen Euro einbehalten. Doch: KVen seien zur Kontrolle nicht berechtigt, schreibt die FAS unter Bezug auf das Gesundheitsministerium.
„Die Verordnung ist stümperhaft, eine Einladung zur Selbstbedienung“, schimpft ein Insider. Möglichkeiten zum Betrug gibt es reichlich, Lücken im Kontrollsystem werden schnell ausgenutzt, sie ziehen die üblichen Verdächtigen wie das Licht die Mücken. Schon bei der Corona Soforthilfe haben sich Abzocker bedient, Schäden in Millionenhöhe verursacht. Die Politik wollte keine Kontrolle, wie einen vorherigen Abgleich von Daten mit den Finanzämtern. In Lübeck schloss die Staatsanwaltschaft ein Testzentrum, das auch PCR-Tests anbot. Dank einer aufmerksamen Frau. Sie hatte das negative Testergebnis mit dem Stempel eines Charité-Labors verdächtig schnell erhalten, schon nach 15 Stunden. Die Frau rief das Labor in Berlin an, dort kannte man das ein einem Einkaufscenter gelegte Testzentrum nicht, hatte nie einen Abstrich aus Lübeck erhalten. Der Stempel war gefälscht. Der Betreiber, ein Medizinstudent, erhielt eine Anzeige: Verdacht auf Betrug und Titelmissbrauch. Eine Mitarbeiterin soll einen falschen Arzttitel geführt haben. Das kann sich woanders wiederholen.
Auch die Arbeit der Testzentren wird kaum kontrolliert. Ob Entnahme der Proben und Analyse des Materials korrekt sind, die Hygiene stimmt. Es werde „anlassbezogen“ kontrolliert, ließ sich der zugeknöpfte Sprecher der Berliner Gesundheitsverwaltung erst auf Nachfrage des änd entlocken. Anderswo wird je nach „freien Kapazitäten“ kontrolliert. Wenn Kontrollen durchgeführt werden, gibt es immer was zu bemängeln. Nach einem wenige Tagen alten Bericht der NDR-Sendung MARKT wurde 13 Zentren die Betriebserlaubnis zeitweise entzogen: Sie hatten Müll nicht korrekt entsorgt, positive Testergebnisse nicht gemeldet, Hygieneauflagen missachtet.
Früher „schwarze Null“, jetzt Spendierhosen
Es ist verrückt: GKV-Versicherte, die nach einem Unfall zwingend auf eine Behandlung im Krankenhaus angewiesen sind, werden pro Tag zu einer Selbstbeteiligung von 10 Euro verdonnert. Und bis zu Beginn der Pandemie im Frühjahr 2020 hielt die schwarz-rot geführte Bundesregierung so eisern an der „schwarzen Null“ fest, so dass Schultoiletten und Parks vergammelten. Jetzt werden Milliardenbeträge leichtfertig aus dem Fenster geworfen.
Letztes Jahr orderte das Gesundheitsministerium erst zu teure FFP2 Masken, beglückte damit dubiose Händler und Vermittler, später verdienten sich die Apotheker eine Goldene Nase. Spahn ließ viele Millionen überteuerte FFP2 Masken kostenlos über Apotheken verteilen. Jetzt wird an jeder Ecke kostenlos getestet, wieder auf Kosten der Steuerzahler.
Wer Pfingsten in wieder eröffneten Außenbereichen von Restaurants oder Cafes bedient werden wollte, benötigte einen negativen Test. Vor manchen Schnelltestzentren bildeten sich Schlangen, zur Freude der Betreiber. Dabei sind viele Schnelltests heraus geworfenes Geld. Die Ansteckungsgefahr im Freien ist bei etwas Abstand gleich Null, die Sicherheit von negativ Getesteten trügerisch: Schnelltest sind ungenau, erkennen einen Teil der Infizierten ohne Symptome nicht. Manche Tests soll die Hälfte nicht erkennen.
Betreiber von Schnelltestzentren müssen die Tests aus einer ellenlangen Liste des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (Bfarm) auswählen. Dort stehen neben geprüften auch nicht evaluierte Tests. Beim Kauf großer Mengen könnte für manchen Anbieter der Preis eine größere Rolle spielen als die Qualität. Ob die Vorgabe überhaupt eingehalten wird, kontrolliert meist niemand.
Kostenlose Antigentests könnten dem Steuerzahler schmerzhaft auf die Füße fallen. Abgerechnet wird alles über das Bundesamt für Soziale Sicherung (BAS), das Geld stammt aus der „Liquiditätsreserve“ des Gesundheitsfonds der Krankenkassen, diesem will Finanzminister Olaf Scholz (SPD) die Kosten erstatten. Für Antigentests und Impfungen sollen es in diesem Jahr schätzungsweise 2,7 Milliarden Euro sein. Diese Summe könnte schnell verbraucht sein, wie erstmals veröffentliche Zahlen zeigen: Das BAS hat am 15. April 2021 den KVen für „Bürgertests“ 132,5 Millionen Euro (266 Millionen Euro) überwiesen, am 17. Mai 2021 waren es für April schon 496,3 Millionen Euro (688 Millionen Euro). In Klammern die Gesamtkosten. Zum Vergleich: Im Februar vor der Einführung der „Bürgertests“ waren es 142 Millionen Euro.
Der eigentliche Boom dürfte vor der Tür stehen: Lockerung des Lockdowns, warmes Wetter, die Urlaubssaison. Bis große Teile der Bevölkerung vollständig geimpft sind, für diese nach aktuellem Stand die Testpflicht entfällt, dürfte es einige Zeit dauern.
Vielleicht sind Schnelltests kein Auslaufmodell, wie manche vermuten. Und vielleicht geht die Strategie von Kanzlerin Angela Merkel nicht auf. Kurz vor dem Erlass der Corona-Testverordnung vom 8. März hatte die Kanzlerin gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erklärt: „Umfassende Schnelltests“ seien Voraussetzung einer „intelligenten Öffnungsstrategie“ – bis in Deutschland alle geimpft seien.
Die gelernte Physikerin könnte falsch liegen. Geimpfte und Genesene können sich neu infizieren, andere anstecken. Der Impfschutz lässt nach einiger Zeit nach und vor allem sind Mutanten auf dem Vormarsch. Die Ständige Impfkommission hat Im kommenden Jahr weitere Impfungen angekündigt. Das könnte dauern. Dann ist Merkel nicht mehr im Amt. Die Zahl der Schnelltestzentren wächst. In Nachbarschaft des eingangs erwähnten Testzentrums hat während der Recherche ein bisher wenig frequentierter Spätkauf ein weiteres Schnelltestzentrum eingerichtet. Dort ist jetzt deutlich mehr los. Hermann Müller
25.05.2021 12:15, Autor: HM, © änd Ärztenachrichtendienst Verlags-AG
Quelle: https://www.aend.de/article/212380